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Foto: Andrea Hesse

Katastrophe via Smartphone

Nachricht 17. Dezember 2014

Feuerwehr und Notfallseelsorge appellieren an die Menschlichkeit

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Neben der technischen Hilfe brauchen Unfallopfer und ihre Angehörigen auch die Hilfe für die Seele. Foto: Oliver Hein

Wenn die Feuerwehr kommt, muss in der Regel alles ganz schnell gehen – es geht um Minuten und manchmal auch um Menschenleben. Begleitet werden die Einsätze häufig von Feuerwehr-Pressesprechern, sie tragen an der Einsatzstelle eine grüne Weste und sind für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Sind Medien vor Ort, stehen sie ihnen zur Verfügung und erläutern den Einsatzverlauf. Wenn keine Medien zu betreuen sind, erstellen sie auch selbst Berichte über die Arbeit und die Einsätze der Feuerwehr. Das ist in mehrerlei Hinsicht eine wichtige Aufgabe, denn viele Menschen glauben, dass besonders schwierige Einsätze von der Berufsfeuerwehr übernommen werden oder dass die Feuerwehrleute im Feuerwehrhaus auf den nächsten Einsatz warten. Beides stimmt nicht: In vielen Landkreisen gibt es ausschließlich freiwillige Feuerwehrleute, die ihre professionelle Arbeit ehrenamtlich verrichten und je nach Alarmzeit ihr Bett, ihre Arbeit oder ihre Familie verlassen, um zum Feuerwehrhaus zu eilen.

Dieses besondere Engagement allein ist schon Grund genug für eine eigene Öffentlichkeitsarbeit, nicht zuletzt aber ist die Öffentlichkeitsarbeit auch wichtig für die Nachwuchsgewinnung. Dabei ist die Öffentlichkeitsarbeit der Feuerwehr in mancher Hinsicht anders als die der Vereine: Vereine können sich aussuchen, ob sie etwas sagen oder nicht. Die Feuerwehr dagegen unterliegt als kommunale Behörde gegenüber der Presse der Informationspflicht nach dem Niedersächsischen Pressegesetz. Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, was mit ihren Steuergeldern passiert.

Der gravierendste Unterschied ist aber, dass die Feuerwehr auch zu tragischen Einsätzen gerufen wird, bei denen es Verletzte oder auch Tote geben kann. Die Pressesprecher berichten dann sachlich und professionell über die Einsatzarbeit der Feuerwehr und deren taktisches Vorgehen. Hier ist besonderes Fingerspitzengefühl gefragt; häufig sind die Informationen sehr sensibel. Für die eigene Berichterstattung auf den Homepages der Feuerwehren haben sich die Pressesprecher daher selbst eine 24-Stunden-Pietätssperre auferlegt, wonach bei Einsätzen mit Verletzten oder Toten erst einen Tag nach dem Einsatz ein entsprechender Bericht erscheint.

Hier lässt sich die Feuerwehr bewusst Zeit und das hat einen guten Grund – die Angehörigen sollen nicht im Internet vom Tod eines nahen Verwandten erfahren, sondern durch professionelle Kräfte wie Polizei und Seelsorgerinnen oder Seelsorger auf diese schlimme Nachricht vorbereitet werden. So können die Menschen gestützt werden und erhalten die nötige Hilfe, die sie in diesem Moment brauchen.

„Jeder stelle sich das nur mal für sich selbst vor: Ich liege gemütlich auf dem Sofa oder ich stehe gerade zwischen Einkaufsregalen oder sitze im Auto, um die Kinder abzuholen“, sagt Pastor Andreas Hellmich, Leitender Notfallseelsorger im Kirchenkreis Bremervörde-Zeven und Sprengelbeauftragter der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. „Und dann macht sich das Smartphone bemerkbar: Ich sehe auf dem Display ein Auto, das ich kenne: mein Partner, mein Kind, mein …! Ich bin wie vom Blitz getroffen – keiner hat mich vorbereitet, keiner steht mir zu Seite. Ich stehe ganz allein da und bin mir selbst überlassen. Warum? Weil es einer nicht abwarten konnte und mal eben etwas in ein soziales Netzwerk gestellt hat, ohne sich Gedanken zu machen, was er damit auslösen kann.“
Notfallseelsorgerinnen und Seelsorger könnten zwar nicht das Leid nehmen, aber sie leisteten wichtigen Beistand im ersten Schock, sagt Andreas Hellmich. „Sie schenken Zeit, bringen Kenntnis und Verständnis mit und können dabei helfen, Hilfreiches anzubahnen – Möglichkeiten, die Menschen genommen werden, wenn vorzeitig und unkontrolliert Nachrichten beispielsweise über soziale Netzwerke und sensationsaffine Medien verbreitet werden.“

Problematisch sind die heutigen technischen Möglichkeiten: Schaulustige können noch vor Eintreffen der Rettungskräfte und während der Rettungsarbeiten Bilder vom Ort des Geschehens in soziale Netzwerke einstellen oder anderweitig verteilen. „Eine neue Form des Gaffens ist so entstanden“, bedauert Andreas Hellmich. „Einmal ins Internet gestellt, sind diese Bilder und Informationen nicht mehr zu kontrollieren. Je schlimmer ein Ereignis, desto schneller verbreitet es sich im Netz und kann so auch Angehörige erreichen.“

Feuerwehr und Notfallseelsorge appellieren daher an alle, das Handy an Unfall-, Brand- und Einsatzstellen lediglich für den Notruf zu nutzen und keine Bilder oder Informationen ins Internet zu stellen. Der Bericht wird dann von den Profis veröffentlicht – so schnell wie möglich, so langsam wie nötig.