„Assistierter Suizid rückt neu ins Bewusstsein“

Zahl der Anfragen an Seelsorgende nimmt zu

Foto: Karl-Martin Harms

Assistierter Suizid ist nach einer Studie des Zentrums für Gesundheitsethik (ZfG) an der Akademie Loccum immer häufiger Thema in der Seelsorge. „Die Zahl und die Intensität der Anfragen bei Seelsorge-Personen haben in den vergangenen vier Jahren zugenommen“, sagt die Leiterin des Forschungsprojektes, die Theologin Dorothee Arnold-Krüger. Indes seien alle befragten Seelsorgerinnen und Seelsorger bereit, Menschen, die einen assistierten Suizid erwägen oder durchführen möchten, zu begleiten – trotz mitunter erheblicher ethischer Bedenken.

Erste Forschungsergebnisse präsentierte Arnold-Krüger jetzt während einer Tagung in Hannover. Für die vierjährige Studie wurden seit 2020 mehr als 400 Pastorinnen und Diakone in der hannoverschen Landeskirche zu ihren Erfahrungen und Einstellungen zum Thema befragt. Die Befragten arbeiten unter anderem in Krankenhäusern, in der Altenseelsorge, in der Chatseelsorge sowie in Kirchengemeinden.

Wesentlichen Anteil an der Entwicklung habe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, sagt die Ethik-Expertin. Das höchste Gericht in Deutschland hatte damals das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt und den Gesetzgeber mit einer Neuregelung beauftragt. „Das hat den Diskurs über assistierten Suizid geöffnet und das Thema neu ins Bewusstsein gerückt“, so Arnold-Krüger.

Seelsorgerinnen und Seelsorger, die schon mit suizidalen Personen zu tun hatten, stünden einer völligen Liberalisierung des assistierten Suizids besonders kritisch gegenüber, sagt Arnold-Krüger. Einige der Befragten lehnten ihn sogar grundsätzlich ab. „Als ethisch und seelsorglich besonders schwierig sehen Pastoren und Diakoninnen etwa auch den Umgang mit psychisch oder demenziell Erkrankten, die durch einen assistierten Suizid sterben möchten.“

Zunehmende Brisanz erhalte das Thema nach Meinung der Befragten auch angesichts einer älter werdenden Gesellschaft, erklärt die Theologin. Assistierter Suizid dürfe demnach nicht die Antwort sein auf Pflegebedürftigkeit, Einsamkeit im Alter oder das Gefühl, nicht mehr wertvoll zu sein. „Die Umfrageergebnisse sind ein deutlicher Appell an eine solidarische Gesellschaft, die klar sagt: Jeder Mensch ist wichtig für die Gemeinschaft, egal in welcher Lebens- und Krankheitssituation er sich befindet.“

Im Umgang mit der Möglichkeit des assistierten Suizids seien Theologie und Kirche unverzichtbar, betont Arnold-Krüger und verweist auf die Fürsorgestrukturen der Kirche und die lange theologische Auseinandersetzung mit den Themen Fragilität und Endlichkeit des Lebens. Zum Tragen komme die evangelische Kompetenz nicht nur in der ethischen Beratung von Menschen, die einen assistierten Suizid erwägen. Eine große Rolle bei der seelsorglichen Begleitung Betroffener und ihrer Angehörigen spielten auch Rituale, etwa Abschiedsfeiern, ein letztes Abendmahl sowie Aussegnung und Bestattung.

epd-Gespräch: Urs Christian Mundt