Foto: Jessica Horkey auf Pixabay

"Kinder brauchen ein Basislager"

Nachricht 28. Februar 2022

Lebensberatungsstellen diskutieren Veränderungen der Vaterrolle

Foto: Jessica Horkey auf Pixabay

Seit etwa 20 Jahren registrieren die evangelischen Lebensberatungsstellen auf dem Gebiet der hannoverschen Landeskirche Veränderungen bei ihren Klientinnen und Klienten: Immer mehr Väter suchen in den Lebens- und Erziehungsberatungsstellen Unterstützung. „Oftmals geht es nach einer Trennung um die Betreuung und den Umgang mit den Kindern, aber auch Auffälligkeiten wie aggressives Verhalten und andere Anpassungsprobleme sind Thema in den Beratungen“, stellen Sozialpsychologe Axel Gerland und Pastor Rainer Bugdahn von der Hauptstelle für Lebensberatung am Zentrum für Seelsorge und Beratung in Hannover fest.

Moderne Familienkonstellationen und die Pluralität der Lebensstile veränderten die Vaterrolle grundlegend, betonte Prof. Johannes Huber, Leiter des Studiengangs Angewandte Psychologie der Technischen Hochschule Rosenheim, jetzt während der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Lebensberatung (AGL). Mitarbeitende aus den mehr als 30 in der AGL organisierten evangelischen Beratungsstellen kamen zu dieser Online-Tagung zusammen: „Auch unter den Herausforderungen der Corona-Krise bleibt der gegenseitige Austausch unter den Kolleginnen und Kollegen, ergänzt durch Fachvorträge und Workshops, wichtig“, betont Gerland.

Väter sähen sich heute stärker als noch vor 20 Jahren in der Verantwortung für ihre Kinder, so Huber. Es gebe seit den 1970er Jahren eine Veränderung vom befehlenden Vater hin zu einem verhandelnden und an Egalität orientierten Vater, auch seien die Selbstansprüche der Väter gestiegen. Immer mehr Väter nähmen Elternzeit und Vätermonate, auch dann, wenn strukturelle Arbeitsbedingungen diese väterliche Aktivität erschwerten.

Prof. Eva Rass, Erziehungswissenschaftlerin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin von der Hochschule Mannheim, betonte die neurobiologischen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Jungen seien oft mit äußeren Reizüberflutungen überfordert; sie könnten die erforderliche Affektregulation in Alltagssituationen auch aufgrund ihrer neurobiologischen Grundausstattung meist nicht leisten. Mädchen seien ihnen dabei in der Entwicklung etwa ein Jahr voraus. Väter hätten ebenso wie Mütter die Aufgabe, ihren Kindern ein „sicherheitsgebendes Basislager“ zu schaffen und ihnen bei der „emotionalen Abstimmung, der Regulation der ablaufenden Erregung“, zu helfen. Väter bedienten sich dabei häufiger aktiver Muster in Form von körperorientierten robusten Spielen, was viele Jungen auch bei ihnen suchten. In der Erziehungsberatung reichten pädagogische Maßnahmen nicht aus, so Rass weiter; Hilfe bei der Regulation der Affekte sei entscheidend. „Was braucht das Kind in der jetzigen Situation, um sich zu beruhigen und die Situation gut zu durchleben“ – diese Frage müsse stärker in den Fokus rücken.

Die mehr als 80 an der Jahrestagung teilnehmenden Fachkräfte gingen im Anschluss an die Vorträge in Workshops: „Väter und ihre Söhne“, „Abwesende Väter“, „Frauen und ihre Väter“, „Moderne Väter“ lauteten die Überschriften dieses professionellen Erfahrungsaustausches. „Die praktische Arbeit mit den Vätern in den Beratungsstellen geschieht vor dem Hintergrund der oben beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen und ist in jedem Beratungsfall immer wieder mit den jeweils einzigartigen Herausforderungen einer Familie verbunden“, so Axel Gerland.

Die Hauptstelle für Lebensberatung, die Teil des Zentrums für Seelsorge und Beratung der hannoverschen Landeskirche ist, unterstützt die Mitarbeitenden in den evangelischen Bratungsstellen mit Fachberatung und Fortbildung. Ihr Anliegen ist es, die angefragte psychologisch-beratende Kompetenz mit hoher Qualität und Professionalität auszustatten und zu erhalten.