Auf ihrer jährlichen Klausurtagung ging die Fachgruppe der Personzentrierten Seelsorge (PzS) jetzt der Frage „Demut – eine Tugend?“ nach. Annette Behnken, Pastorin und Moderatorin der „Klosterküche“ im NDR, gestaltete die Fortbildung mit Thesen aus ihrem Buch „Demut – Hymne an eine Tugend“. In einer engagierten Diskussion loteten die Teilnehmenden aus, was diese Tugend für die Arbeit in Seelsorge und Beratung bedeuten kann und was die Verbindung zur Haltung und zum Menschenbild der PzS ausmacht.
Neben dem Fortbildungsteil befasste sich die Fachgruppe, die von Dietmar Vogt als zuständigem Referenten am Zentrum für Seelsorge und Beratung (ZfSB) geleitet wird, mit Fortbildungsrichtlinien und Planungen für die Jahre 2023 und 2024. Erstmals nahmen an der dreitägigen Klausur im Lutherheim in Springe auch Alexandra Beiße und Torsten Kahle teil.
„Wir freuen uns, dass Alexandra Beiße sich zur Supervisorin weiterbildet und Torsten Kahle sich in der Fortbildung zum Ausbilder befindet“, so Dietmar Vogt. Der Fachgruppe gehören insgesamt zehn Pastorinnen und Pastoren an, die in unterschiedlichen Funktionen in der gesamten hannoverschen Landeskirche tätig sind.
Im folgenden Interview nimmt Annette Behnken zu den inhaltlichen Fragen der Klausurtagung Stellung.
Annette, du hast ein Buch über „Demut“ geschrieben. Warum gerade dieses Thema?
Behnken: Das Thema Demut hat mich immer wieder angesprungen, wenn ich in Klöstern war, was aus beruflichen Gründen in den vergangenen Jahren sehr oft der Fall war. Dort bin ich häufig Ordensmenschen begegnet, die eine unglaubliche Ausstrahlung haben, die getragen, leuchtend, gegründet und zugleich frei und oft auch sehr humorvoll sind. Das ist ihnen nicht in den Schoß gefallen und ist auch kein Dauerzustand – auch Ordensmenschen kennen Zweifel und das Ringen mit ihrer ja sehr radikalen Entscheidung fürs Klosterleben. Irgendwann fing ich an zu fragen, ob dieses Gegründetsein und Leuchten etwas mit Demut zu tun habe. In meinem Büchlein habe ich das die „Grandezza der Demut“ genannt und wollte verstehen, ob und wie das auch mit meinem Leben etwas zu tun hat.
Demut, so sagst du es, ist eine Tugend. Wo begegnet dir Demut in deinem Alltag, beruflich und persönlich?
Ich verstehe Demut als eine Haltung oder Tugend, die uns in eine lebendige, offenporige, fließende Beziehung setzt zu uns selbst, zu unserer Um- und Mitwelt und zu etwas, das größer ist als wir selbst. Das kann Gott oder der Glaube sein, aber auch ein Projekt, eine Idee. Es ist das Gegenteil von dem, was wir Narzissmus nennen, so einer emotionalen Verkrustung. Also begegnet mir Demut überall dort, wo ich davon etwas erlebe. Das können ganz kleine, unsichtbare Momente im Alltag sein, z.B. ein Gespräch, in dem spürbar wird, dass die Gesprächspartner:innen einander wirklich verstehen wollen, wirklich zuhören. Ganz große und starke Beispiele sind für mich aber auch die Aktivist:innen von „Fridays for Future“, die nicht aufhören, sich unermüdlich und jetzt wieder bei der Weltklimakonferenz in Ägypten friedlich aber deutlich gegen starke Widerstände für das Klima einzusetzen. Das sind für mich gerade auch die Menschen im Iran, die für „Frauen.Leben.Freiheit“ auf die Straße gehen und ihr Leben riskieren. Demut ist also nicht immer sanft und leise, sondern kann auch laut und kraftvoll daherkommen, wenn sie im Dienst eines Größeren steht. Ein biblisches Beispiel dafür ist die Tempelreinigung Jesu. Das macht er ja nicht, weil er gerade Lust hat zu pöbeln, sondern im Dienst einer größeren Sache lebt.
Du bist Ausbilderin für Seelsorge und Beratung für die Fachgruppe der Personzentrierten Seelsorge. Was hat Demut mit Seelsorge zu tun?
Ganz, ganz viel! Ich verstehe mich ja nicht als Bescheidwisserin über den Menschen, der ein Seelsorgegespräch aufsucht, sondern begleite meine Gesprächspartner:in – vielleicht so, wie ein Pianist eine Solistin begleitet. In der Seelsorge sind wir, zum Beispiel in Trauergesprächen, oft mit Menschen zusammen, die in einer Situation erhöhter Sensibilität und Verletzlichkeit sind, empfindsam für atmosphärische Störungen und mangelnde Authentizität in der Begegnung. Die Demut beginnt dort, wo ich als Seelsorgerin meine vielen inneren Reflexe, mit denen ich meine schon zu wissen, welche Richtung das Gespräch günstigerweise nehmen sollte, zurücknehme. Wir sind Begleiter:innen, die akzeptierend und empathisch reagieren, nicht mit schnellem Trost und Zureden, sondern mehr hörend als redend, mehr gemeinsam schauend als zeigend, Fragen und Leerstellen aushaltend. Die Hilflosigkeit der oder des anderen zu teilen, ist manchmal die entscheidende Hilfe. Solche Seelsorge habe ich einmal in einem Artikel als „demütige Seelsorge“ bezeichnet (Chr. Burbach, Hg., … bis an die Grenze. Hospizarbeit und Palliative Care, Göttingen 2011, S. 24).
Und gibt es für dich gerade in der personzentrierten Haltung einen besonderen Anknüpfungspunkt zur Demut?
Im personzentrierten Ansatz üben wir die Haltungen von Echtheit, Akzeptanz, Wertschätzung und Empathie ein. Das geht nicht, ohne auch immer wieder sich selbst zu begegnen und seinen blinden Flecken oder eigenen Themen, die mich in diesen Haltungen hindern – oder auch fördern. Also: Ich sollte mir meiner eigenen Schwächen und Stärken immer bewusster werden. Ich sollte mit den schwierigen und starken Seiten meines Gegenübers wertschätzend umgehen. Und ich sollte aushalten, dass ich das Gespräch nicht kontrolliere, sondern wir ungefähr zu dritt wirksam sind: Ich gehe davon aus, dass auch ein heiliger oder heilender Geist mitwirkt.
Interview: Sonja Domröse