„Abgabe des Führerscheins ist auch ein Abschied“

Nachricht 02. August 2022

Altenseelsorgerin spricht über ein emotionales Thema

Foto: José Manuel de Laá auf Pixabay

Es ist ein heikles Thema – der betagte Vater hat beim Ausparken den Baum touchiert, die Mutter wird am Steuer immer unsicherer. So kommt es wenigstens den Kindern vor. Wie aber sprechen sie es an, wenn es ihnen besser erscheint, dass ihre Eltern den Führerschein abgeben? In dieser Frage gehe es auch um starke Emotionen, sagt Anita Christians-Albrecht, landeskirchliche Beauftragte für Altenseelsorge am Zentrum für Seelsorge und Beratung, im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Immer schwinge bei solchen Gesprächen auch ein Abschied mit.

epd: Warum ist es oft so schwer, mit Eltern oder anderen nahestehenden Menschen darüber zu sprechen, dass es an der Zeit sein könnte, den Führerschein abzugeben?

Christians-Albrecht: Das ist nur eines von mehreren Themen, die ältere Menschen und ihre Angehörigen aufwühlen können. Es ist im Grunde eine Abschiedssituation. Da schwingt Trauer mit – bei den Kindern, weil der Mensch, den sie als Mutter oder Vater kennen, stark und souverän war und davon etwas verloren geht. Sie müssen sich ein Stück weit verabschieden von ihren Eltern. Und die Eltern müssen Abschied nehmen von ihrer Autonomie. Von dem, was ihnen bisher Anerkennung und Freiheit geschenkt hat.

Das klingt nach Konfliktpotenzial. Wie gehe ich damit um?

Wichtig ist es, die Perspektive zu wechseln, um den Gefühlswirrwarr der oder des jeweils anderen zu verstehen. Es hat mit Würdigung und Anerkennung zu tun. Es ist schwer, wenn sich Rollen ändern und aus den früher sorgenden Eltern Umsorgte werden. Wichtig ist, dass man sich klarmacht: Auch im Alter bleibt das Bedürfnis, dazuzugehören und dabei zu sein. Das ist eines der Grundbedürfnisse von Menschen. Bei den Kindern schwingen auch Schuldgefühle mit: Ich kann ja nicht immer für die Eltern da sein.

Sie haben für das Zentrum für Seelsorge und Beratung in der hannoverschen Landeskirche bereits Seminare zu solchen Fragen organisiert. Was raten Sie?

Der Führerschein war da nur ein Randaspekt. Es ging generell um schwierige, aber nötige Gespräche mit alten Eltern. Das ist deshalb oft hochemotional, weil es auch um die Vergänglichkeit des Menschen geht, um kleine und große Verluste. Die Mutter, die immer so ordentlich war, läuft etwa mit fleckiger Bluse durchs Haus, das ist emotional nicht leicht zu akzeptieren. Dennoch ist es wichtig, in den Gesprächen nicht vom Mitleid bestimmt zu werden. Es sollten Gespräche auf Augenhöhe sein, ohne Bevormundung. Wichtig ist es auch, die Dinge frühzeitig zu besprechen. Ich versuche zu vermitteln, dass es oft auch Alternativen etwa zum Autofahren gibt. Wobei das in der Frage des Führerscheins in der Stadt sicher leichter ist als auf dem Land, in einem Dorf in Ostfriesland. Es hilft zudem, Dinge positiv zu formulieren, etwa von dem Nachbarn zu erzählen, der seinen Führerschein abgegeben hat, und zu sagen: „Das finde ich schön, dass sich jemand so autonom dafür entschieden hat.“ Patentrezepte gibt es allerdings nicht. Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)