„Wir haben das Wissen, aber auch die Blockaden“

Nachricht 13. Juni 2023

Schulung zur Prävention sexualisierter Gewalt im ZfSB

Mareike Dee und Petra Eickhoff-Brummer (4. und 5. von links) bearbeiteten mit der Gruppe viele Aspekte Sexualisierter Gewalt. Foto: Andrea Hesse

„Lange Zeit gab es starke Wahrnehmunsgblockaden gegenüber Gewalt in der Familie und in Einrichtungen“, sagt Petra Eickhoff-Brummer vom Zentrum für Seelsorge und Beratung (ZfSB) in ihren Einführungsworten zur Grundschulung „Prävention sexualisierter Gewalt“. Als Multiplikatorin der landeskirchlichen „Fachstelle sexualisierte Gewalt“ bietet sie die sechsstündige Schulung in Zusammenarbeit mit Mareike Dee, Referentin der Fachstelle für Prävention und Aufarbeitung, im ZfSB an. An diesem Vormittag sind dazu Krankenhausseelsorger*innen und die landeskirchlichen Supervisor*innen und Coach*innen eingeladen.

Kirche als Organisation übernimmt Verantwortung

Nach dem Bekanntwerden des systematischen Missbrauchs am Canisius-Kolleg im Jahr 2010 und dem Aufploppen immer weiterer Fälle in kirchlichen und nichtkirchlichen Einrichtungen wurde 2019 die Gewaltschutzrichtlinie der EKD veröffentlicht – ein Riesenschritt, so Eickhoff-Brummer zu den elf Teilnehmenden der Grundschulung. Erstmals habe die Kirche damit als Organisation Verantwortung übernommen und sich nicht mehr auf Einzelfallentscheidungen zurückgezogen.

Verantwortung übernimmt auch die hannoversche Landeskirche, unter anderem mit dem Prinzip der verpflichtenden Grundschulungen zur Prävention sexualisierter Gewalt. Bis Ende 2024 sind alle ehrenamtlich und beruflich Mitarbeitenden, die Leitungsaufgaben wahrnehmen oder in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen oder Menschen in Obhutsverhältnissen sowie in Seelsorge und Beratung tätig sind, verpflichtet, eine solche Schulung zu absolvieren.

Petra Eickhoff-Brummer und Mareike Dee werden im Zentrum für Seelsorge und Beratung weitere Schulungen für Seelsorger*innen und Berater*innen anbieten. Foto: Andrea Hesse

„Wir arbeiten an einer Kultur der Achtsamkeit um damit das Schweigen zu beenden – Schweigen deckt die Täter*innen“, sagt Petra Eickhoff-Brummer den Teilnehmenden der Grundschulung. Es sei perfide, wenn Kontexte von Gemeinschaft zum Missbrauch genutzt würden: „Wir haben das Wissen darüber, aber wir haben eben auch immer noch die Wahrnehmungsblockaden.“ Gegen diese Blockaden helfen sollen die Informationen, die an diesem Vormittag vermittelt werden: Mareike Dee präsentiert Folien zu den Hilfsmöglichkeiten der Fachstelle, zum Nähe-Distanz-Verhalten und zur Definition der Begriffes „Sexualisierte Gewalt“. Sie informiert über statistische Fakten, rechtliche Grundlagen und Täter*innenstrategien, über das richtige Verhalten im Verdachtsfall, über Krisenpläne, Interventionsmöglichkeiten und die wichtige Dokumentation. Schließlich spielen auch das Seelsorgegeheimnisgesetz und das Pfarrdienstgesetz eine Rolle, ebenso das Wording in der Kommunikation zu Sexualisierter Gewalt.

Täter*innenstrategien und Grenzen

Engagierte, differenzierte Diskussionen löst insbesondere die Beschäftigung mit den Täter*innenstrategien und dem Setzen von Grenzen aus. „Wir als Kirche sind eine sehr besondere Organisation, was Grenzen angeht – wir haben keine“, stellt Petra Eickhoff-Brummer leicht provozierend in den Raum. Umso nötiger sei es als Pastorin oder Diakon, die eigenen Grenzen zu klären und zu kommunizieren, sich dabei aber auch der Gefahr eines Verlustes von Nähe bewusst zu sein. „Wenn immer gleich die Alarmglocken schrillen – was verlieren wir dann?“, formuliert es eine Teilnehmerin.    

Das Nachdenken über mögliche Täter*innenstrategien löst in der Gruppe ein leichtes Erschrecken aus: „Wir wären erfolgreiche Täter*innen – wir kennen alle Strategien“, sagt eine Teilnehmerin, nachdem in Arbeitsgruppen mögliche Strategien überlegt und anschließend mit wissenschaftlichen Erkenntnissen abgeglichen wurden.

„Ich weiß jetzt, was ich tun kann, wenn ich etwas wahrnehme“, bedankt sich eine Teilnehmerin zum Ende der Schulung. „Ich bin in meinem Umgang mit dem Thema bestärkt worden“, stellt eine andere fest. „Über manches denke ich im Berufsalltag nicht nach – es würde mich hemmen“, wird ein anderer Aspekt eingebracht.