„In der gleichen, aber nicht in derselben Welt“

Nachricht 27. Februar 2023

Christiane Neukirch wurde aus dem ZfSB verabschiedet

Christiane Neukirch, hier bei der Aufzeichnung von Wochensprüchen in Gebärdensprache. Foto: Andrea Hesse

23 Jahre lang arbeitete Christiane Neukirch als Seelsorgerin für hörgeschädigte Menschen; nun wurde die Pastorin in einem Gottesdienst in Hannover aus ihrem Amt als Beauftragte für Gebärdensprachliche Seelsorge am Zentrum für Seelsorge und Beratung verabschiedet. Für Menschen, die nicht oder nur wenig hören könnten, habe es im Laufe der Zeit viele Verbesserungen gegeben, sagte die 65-Jährige jetzt in einem Gespräch über ihre Arbeit und die Entwicklungen der vergangenen Jahre. Doch noch immer herrsche viel Rücksichtslosigkeit in einer Welt, die mehrheitlich aus Hörenden besteht.

Frau Neukirch, was unterscheidet eigentlich die Gebärdensprachliche Seelsorge von der Gehörlosen-Seelsorge?

Gar nichts. Es gibt unterschiedliche Bezeichnungen in einzelnen Landeskirchen. Zu unseren Gemeinden in Niedersachsen zählen gehörlose Menschen, deren Sprache die Gebärdensprache ist. Sie verstehen keine Lautsprache, weil sie nie gehört haben. Dazu kommen aber auch schwerhörige Menschen und Ertaubte, die einmal hören konnten. Und es gibt diejenigen, die mit Gehörlosen und Ertaubten verheiratet oder befreundet sind. Das Ganze ist also umfassender, darum sprechen wir von Gebärdensprachlicher Seelsorge. Außerdem benennen wir damit nicht das Defizit „taub“, sondern die Kompetenz der Menschen. Sie können gebärden.

Gibt es denn auch Pastorinnen oder Pastoren, die gehörlos sind?

Ich weiß von einer gehörlosen Pastorin, die aber nicht in dem Beruf arbeitet. Es ist sehr schwierig für Gehörlose, ein geisteswissenschaftliches Studium wie Theologie zu absolvieren, weil da ja alles mit Sprache zu tun hat. Ein Gehörloser muss das alles mit den Augen aufnehmen, selbst wenn gedolmetscht wird. Das ist ganz schön anstrengend. Es geht um Menschen, die in der gleichen Welt leben wie wir Hörenden, aber nicht in derselben, weil jemand, der nicht hört, die Welt anders wahrnimmt. Man sagt, Blindheit trennt von Dingen und Taubheit trennt von den Menschen. Das lässt sich für Gehörlose nur überwinden, indem man mit ihnen gebärdet. Sie wollen deshalb auch nicht taubstumm genannt werden, denn sie sind nicht stumm. Sie haben ihre eigene Sprache.

Können Sie näher erläutern, was das für Menschen bedeuten kann?

Wenn jemand im Rollstuhl sitzt, ist das sichtbar. Wenn jemand blind ist, meistens auch. Aber dass jemand taub ist, sieht man nicht. Deshalb haben viele Hörende überhaupt keine Vorstellung davon, was tauben Menschen in unserer Gesellschaft abverlangt wird. Nur ein kleines Beispiel sind da die Bahnhofsdurchsagen bei Zugverlegungen auf ein anderes Gleis. Auch wenn das, nicht immer zuverlässig, auf der Anzeigetafel steht: Wer gehörlos ist, bekommt es oft nicht mit. Menschen gehen, andere kommen dazu, dann kommt ein Zug, der falsche, und es ist alles verkehrt. Unsere Welt der mehrheitlich Hörenden ist gegenüber hörgeschädigten Menschen rücksichtslos.

Seit einiger Zeit ist viel von Inklusion die Rede. Haben sich auch Dinge verbessert?

Ja. Im Fernsehen laufen zum Beispiel viele Sendungen mit Untertiteln. Die helfen zumindest Ertaubten oder Menschen mit Resthörvermögen. Wenn ich aber gehörlos bin und verstehe die Lautsprache nicht, ist das eher nicht der Fall. Denn unsere Sprache ist sehr kompliziert. „Gehen“ und „gegangen“ meint da dasselbe in anderer Zeitform, ist aber vom Wortbild her schwer zusammenzubringen. Es müsste viel mehr Dolmetscher-Einblendungen in Gebärdensprache geben, auch wenn diese mittlerweile schon häufiger angeboten werden. Doch es fehlt auch an Dolmetscherinnen und Dolmetschern, die meist freiberuflich tätig sind. Im Zuge der Inklusion sind viele von ihnen in Schulen im Einsatz. Da man sich dabei immer gegenseitig ablöst, braucht es zwei Dolmetschende pro Kind. Das bindet Kräfte. Das merken wir, wenn wir zum Beispiel innerhalb der Woche Dolmetschende für Trauerfeiern suchen. Mit Blick auf die Kirche freue ich mich, dass wir in jüngster Zeit zwei neue Kolleginnen für unser Arbeitsfeld in der Landeskirche gewonnen haben. Das ist Inklusion, die von unten wächst.

Wie sind Sie selbst zur Gebärdensprachlichen Seelsorge gekommen?

Als ich meine erste Pfarrstelle nahe Stade hatte, hat ein Kollege mich eingeladen in seine Gebärdenden-Gottesdienste. Das hat mich von Anfang an sehr fasziniert. Ich fand die Gebärdensprache auch deshalb so eindrücklich, weil sie so ganzheitlich ist. Es kommt zum Wort die Mimik hinzu, die Bewegung der Hände, die ganze Körpersprache. Alles fließt zusammen. Ich kann dann nicht gleichzeitig das eine sagen und etwas anderes meinen. Im Gottesdienst bedeutet das, dass sich die Sprache verdichtet. Ich muss die Sachen auf den Punkt bringen.

Quelle: epd Hannover/Bremen, Karen Miether