„Dieses Ehrenamtsmodell hat keine Zukunft“

Nachricht 02. Februar 2023

Engagement der Älteren ist keine Selbstverständlichkeit

Pastorin Anita Christians-Albrecht

Die Kirche kann in Zukunft nicht mehr davon ausgehen, dass sich ältere Menschen ganz selbstverständlich ehrenamtlich engagieren. „Es gab immer die Einstellung, dass alte Menschen ohnehin da sind“, sagt die niedersächsische Theologin Cornelia Coenen-Marx. Die Rentner:innen der kommenden Jahre und Jahrzehnte würden jedoch viel stärker als frühere Generationen auf ihre eigenen Bedürfnisse achten, ist die Pastorin überzeugt. „Ihre Ideen können Kirche vorantreiben, aber sie kommen nicht von allein“, stellt Coenen-Marx fest.

Die Kirche müsse in das Engagement älterer Menschen künftig mehr investieren und es weniger als kostenlosen Ersatz für das Hauptamt betrachten: „Dass aktive und selbstbestimmte Rentner:innen nachkommen, darf nicht bedeuten, dass Geld für die Altenarbeit eingespart wird.“ Auch Anerkennung für das Engagement sei wichtig, ist die frühere Leiterin des Referats Sozial- und Gesellschaftspolitik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) überzeugt. Gerade in der Corona-Zeit hätten viele Ältere ihre Ehrenämter nicht mehr ausüben können, weil sie selbst zur gefährdeten Gruppe gehörten. Viele hätten in dieser Zeit gemerkt, wie viel ihnen die ehrenamtliche Tätigkeit abverlangt hatte und wie wenig sie dafür gesehen worden waren. Viele hätten das Ehrenamt danach nicht wieder aufgenommen, lautet die ernüchternde Bestandsaufnahme.

Hinzu komme, dass die meisten Menschen im sozialen Ehrenamt Frauen sind, die schon ihr ganzes Leben lang unbezahlte Sorgearbeit leisteten. Gerade finanziell benachteiligte Frauen seien unter Umständen im Alter darauf angewiesen, Geld dazuzuverdienen, statt ihre Zeit kostenlos anzubieten, erläutert Coenen-Marx: „Dieses Ehrenamtsmodell und dieses Frauenbild haben keine Zukunft.“ Frauen würden sich in zehn oder 20 Jahren wohl nicht mehr für Institutionen, sondern für ihre Altersgruppe, die nächste Generation oder für das, was ihnen Spaß macht, engagieren. Um weiterhin ehrenamtlich Tätige zu gewinnen, müsse die Kirche stärker auf verbindende Themen zwischen den Generationen setzen. Alte und Junge müssten die Erfahrung machen, sowohl geben als auch nehmen zu können.

„Ich freue mich über das deutliche Votum von Cornelia Coenen-Marx“, erklärt Anita Christians-Albrecht, landeskirchliche Beauftragte für Altenseelsorge am Zentrum für Seelsorge und Beratung. Ältere Menschen seien viel mehr als nur alt – oft lebensklug und voller Ideen, auf jeden Fall aber ansprechbar auf das, was sie denken und wissen. „Es ist an der Zeit, dass wir das als Kirche erkennen, stereotypen und defizitorientierten Altersbildern entgegenwirken und auch das Engagement der Älteren sehen und schätzen lernen. Ich wünsche mir eine Kirche, in der Alt und Jung gemeinsam Zukunftsbilder entwickeln und ihren Glauben (er-)leben.“

Quelle: epd Niedersachsen/Bremen, Zentrum für Seelsorge und Beratung