„Babyboomer sind nicht auf uns angewiesen“

Nachricht 26. September 2023

Digitaler Fachtag zu Chancen für die Gemeindeentwicklung

Menschen aus der Generation der Babyboomer sind oftmals bereit, sich zu engagieren – wenn das Angebot ihren Bedürfnissen entspricht. Foto: Ravi Patel auf unsplash

„Raum geben?! Babyboomer als Chance für Gemeindeentwicklung“ – unter diesem Titel fand jetzt ein digitaler Fachtag statt, an dem sich 65 Teilnehmende aus ganz Deutschland und der Schweiz beteiligten. Zum Team der Veranstalter*innen gehörte auch Pastorin Anita Christians-Albrecht, Beauftragte für Altenseelsorge am Zentrum für Seelsorge und Beratung in Hannover.

Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker von der Fakultät für Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg und Cornelia Coenen-Marx, Pastorin, Autorin, Coach und Geschäftsführerin der Agentur „Seele und Sorge“ nahmen die Gruppe der Babyboomer aus unterschiedlichen Perspektiven unter die Lupe.

Anreize müssen sich an Bedürfnissen orientieren

Als eine „Generation der vielen“ bezeichnete Schroll-Decker die zwischen 1955 und 1965 Geborenen. Sie erläuterte, wie verschiedene Einflüsse der zurückliegenden 50 Lebensjahre eine durchaus heterogene Generation hervorbrachten – eine übliche Entwicklung. Ebenfalls üblich sei es, dass ältere Menschen im Anschluss an den Eintritt in den Ruhestand zunächst einmal Ruhe haben wollten und dieser „Ruhestandseffekt“ dazu führe, dass Babyboomer ihre Expertise und ihre Zeit nicht sofort in ein freiwilliges Engagement geben würden. Es gebe jedoch Anreize, die dann wirkungsvoll seien, wenn sie sich an den jeweils individuellen Bedürfnissen orientierten.

Schroll-Decker betonte, dass die Gruppe der Babyboomer keine Verfügungsmasse sei: „In unserer Gesellschaft gibt es für das freiwillige Engagement viele Alternativen.“ Kirche müsse sich daher auf die Wünsche der Babyboomer einlassen.

Altersdiskriminierung noch immer weit verbreitet

Coenen-Marx stellte fest, dass das Thema „Altern“ naturgemäß alle angehe, dies in der Wahrnehmung vieler Menschen aber noch nicht angekommen sei. Die Diskriminierung Älterer sei noch immer weit verbreitet: „Ältere werden so lange nicht diskriminiert, wie sie nicht als Ältere gelesen werden.“ Dabei spiele oft gar nicht das biologische Alter die zentrale Rolle, sondern Bildung, Wohlstand, Herkunft, Gesundheit oder Gender.

Coenen-Marx wies besonders auf die oft schwierigen Lebensbedingungen im Alter hin: So hätten etwa ältere Frauen seltener einen Führerschein und seien dadurch wenig mobil; ein größerer Anteil älterer Menschen habe darüber hinaus ein relativ geringes Einkommen, was das ehrenamtliche Engagement erschweren könne. „Festzustellen ist auch, dass der Anteil privat geleisteter Sorgetätigkeiten wächst und diese Zeit für anderes Engagement fehlt“, so Coenen-Marx.

Wie schon Schroll-Decker zuvor, stellte auch Coenen-Marx heraus, dass Babyboomer im Blick auf freiwilliges Engagement nicht auf Kirche angewiesen seien, ihr Interesse jedoch mit der Möglichkeit zur Selbstorganisation, mit generationenübergreifenden Themen und der Entdeckung eines neuen „Wir“ geweckt werden könne.

Kirche ist nur eine Akteurin unter vielen

Berichte über drei Praxisbeispiele zeigten im Anschluss an die Impulsreferate auf, welche Themen in verschiedenen Zusammenhängen von Babyboomern für engagementwürdig befunden und gut angenommen werden. Genannt wurde dabei das gemeinsame Pilgern, das Engagement in einer Gruppe, die mit beruflich Tätigen auf Augenhöhe agiere, eine Netzwerkarbeit, die verschiedene Initiativen miteinander in Kontakt bringe und Projekte rund um Rikschas, die mobilitätseingeschränkte Menschen neue Möglichkeiten bieten.

Abschließend resümierte Schroll-Decker, dass Kirche nur eine Akteurin unter vielen sei und Vernetzung mehr denn je an Bedeutung gewinne. Sie rief dazu auf, in den Menschen die Sehnsucht nach selbstbestimmter Betätigung zu wecken. Coenen-Marx stellte in ihrem Abschlussbeitrag den Mut in den Fokus: Mut zur Veränderung und Mut, aus der eigenen Erfahrung heraus Gleichgesinnte zu suchen; Mut zur gegenseitigen Wahrnehmung, zum Von-einander-Lernen und zum Teilen erfolgreicher Konzepte.

Anita Christians-Albrecht schließlich schloss mit einem Mut machenden Votum: Obgleich häufig zu hören sei, dass überall eher Junge als Alte willkommen seien, habe die Kirche doch die Chance, mit den Älteren gegen den Trend zu wachsen und sich zu entwickeln.