Mehr als 30.000 Beratungsprozesse in 50 Jahren

Nachricht 25. Juli 2023

Die Lebensberatungsstelle Rotenburg wurde 1973 gegründet

Sonja Windel und Hartmut Ladwig identifizieren im Gespräch viele Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede zwischen heutigen und früheren Beratungen. Foto: Anette Meyer

Vieles hat sich in dem halben Jahrhundert seit Gründung der evangelischen Lebensberatungsstelle in Rotenburg geändert, einiges ist aber auch gleichgeblieben – darüber sprachen jetzt Hartmut Ladwig und Sonja Windel in den Räumen der Beratungsstelle an der Glockengießerstraße.

„Die Menschen kommen zu uns, weil sie nicht mehr weiterwissen“, sagt Windel. Sie arbeitet seit 16 Jahren in der Beratungsstelle, seit 2017 als fachliche Leiterin für die verschiedenen Arbeitsbereiche. Dazu gehören neben der Lebensberatung auch die Erziehungsberatung und die Schwangerenberatung.

Erschöpfung, Ohnmacht, Traurigkeit – so beschreibt die Diplom-Sonderpädagogin und systemische Familientherapeutin ein paar der Hauptbefindlichkeiten von Ratsuchenden, wenn sie das erste Mal zu ihr in die Beratungsstelle kommen. „Viele können gar nicht sagen, wo das Problem liegt. Das müssen wir im Gespräch dann erst einmal herausarbeiten“, so Windel.

Damals wie heute dieselben Gründe

Das sei schon vor 50 Jahren so gewesen, bestätigt Ladwig. Er kam als Diplom-Pädagoge in die 1973 von der Landeskirche Hannovers neu gegründete evangelische Lebensberatungsstelle, die damals noch am Kirchhof ihren Sitz hatte. Beziehungs- und Erziehungsprobleme, Vereinsamung, Geldsorgen, Gewalt – die Hauptgründe für die Krisen von Menschen seien damals dieselben wie heute gewesen, auch wenn sich die konkreten Anlässe und Beratungsinhalte in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Entwicklungen immer wieder gewandelt hätten.

Zurzeit dominieren Beratungen zu Trennung und Scheidung; als Folge der Corona-Pandemie haben zudem die Beratungen von Menschen mit Vereinsamung, Ängsten und/oder Depressionen zugenommen. Bei Kindern und Jugendlichen sind es Probleme wie etwa Vereinsamung durch zu viel Medienkonsum, hinzu kommen Probleme mit der Schule, der Familie und Mobbing. Auch häusliche und sexualisierte Gewalt nimmt als Beratungsinhalt zu, weil immer mehr Menschen bereit sind, darüber zu sprechen.

Beratung professionalisierte sich

Vor 50 Jahren hatte sich in der Landeskirche Hannovers die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich Beratung professionalisieren musste und die Humanwissenschaften mittlerweile relevante Methoden für Beratung und Seelsorge hervorgebracht hatten. In allen Sprengeln sollten Beratungsstellen eingerichtet werden, in denen Menschen von Fachkräften betreut, aber auch Theolog*innen fortgebildet wurden. In Rotenburg wurde eine der ersten Einrichtungen gegründet.

Eine klare Trennung zwischen Beratung und Therapie gab es damals noch nicht. Heute, so Windel, sei die Therapie Aufgabe des Gesundheitssystems und die Psychologische Beratung Aufgabe des Sozialsystems. Gesetzlich verankert und damit finanziell gefördert werden allerdings nur die Erziehungsberatung und die Schwangerenberatung. Für Anliegen wie etwa die Paarberatung oder die allgemeine Psychologische Beratung oder Lebensberatung gibt es keine staatliche Förderung; die Finanzierung liegt beim Kirchenkreis Rotenburg.

"Das ist unser diakonischer Auftrag"

„Das ist unser diakonischer Auftrag: Wir lassen niemanden vor der Tür stehen. Jede und jeder kann anrufen. Das macht einen riesigen Unterschied“, sagt Windel. Dabei schätzt sie die enge Vernetzung unter den verschiedenen Beratungsstellen des Diakonischen Werkes in Rotenburg sehr.

Dreieinhalb Planstellen gibt es aktuell in der Lebensberatungsstelle; in den vergangenen 50 Jahren hat es dort mehr als 30.000 Beratungsprozesse gegeben. „Manche Menschen müssen wir nach dem Erstkontakt ans Gesundheitssystem weiterverweisen“, sagt Windel. Bei vielen erreichen die Beratenden nach ein bis drei Stunden aber bereits eine Stabilisierung der Situation. Manchmal reicht auch schon eine erste Begegnung aus: „Es hat so gutgetan, mal alles zu erzählen“, hören die Mitarbeitenden häufig.

Die Anliegen werden sich auch in den kommenden 50 Jahren weiter verändern; das offene Ohr und die professionelle Beratung in den evangelischen Beratungsstellen werden sicher weiterhin für alle Menschen da sein. 

Quelle: Anette Meyer, Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis Rotenburg