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Foto: Andrea Hesse

Interview mit Martin Bergau

Nachricht 29. Oktober 2015
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Martin Bergau, Direktor des ZfS

„Seelsorge ist die Muttersprache der Kirche“


Quelle: Gehet hin in alle Welt. Jahresbericht 2014 der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, erschienen im Oktober 2015


Am 21. Juni 2014 wurde auf dem Gelände der früheren Evangelischen Fachhochschule das Zentrum für Seelsorge (ZfS) eröffnet. Direktor Martin Bergau blickt auf ein ereignisreiches erstes Jahr zurück.

    Herr Bergau, welchen Stellenwert hat die Seelsorge in der modernen kirchlichen Arbeit?
Die Seelsorge ist die Muttersprache der Kirche. Sie ist neben der Diakonie als eine Grundaufgabe der Gemeinden gewachsen. Nach evangelischem Verständnis kann jeder Christ seinem Bruder, seiner Schwester zum Seelsorgenden werden. Martin Luther hat dies als wechselseitige Tröstung und Beratung verstanden.
     Wenn die Seelsorge so tief in der Kirche verankert ist – warum war dann die Gründung eines neuen Zentrums notwendig?
Seelsorge ist nicht eine Sache des guten Willens allein – sie benötigt die ständige Fort- und Weiterbildung und sie muss aktualisiert werden im Hinblick auf das, was die Menschen brauchen. Das ist nun die übergreifende Aufgabe, die bisher in unserer großen Landeskirche kein Zentrum hatte. Zuvor waren die pastoralpsychologischen Weiterbildungen der Seelsorge für Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone und für Ehrenamtliche relativ unverbunden. Die Landeskirche hat es als ihre Aufgabe erkannt, diese Qualifikationen stärker zu koordinieren – mit dem Ziel, zu einem Fachaustausch der Spezialgebiete und zu verbindenden Projekten zu kommen. Die Hospizseelsorge und die Altenseelsorge beispielsweise waren bislang getrennte Fachgebiete, obwohl es in beiden Feldern um die letzte Lebensphase geht. Jetzt wachsen sie zusammen, und das ist gut.
     Es gibt Seelsorge für Gehörlose und Blinde, für Gefängnisinsassen und HIV-Infizierte – in Krankenhäusern, Hospizen, an Unglücksorten, am Telefon und sogar im Internet-Chat. Welcher innere Faden hält die Arbeitsfelder des Zentrums für Seelsorge zusammen?
Der innere Faden ist das Menschenbild: Der Mensch ist ein von Gott geliebtes Geschöpf. Er ist bejaht und hat eine eigene Würde. Darüber hinaus braucht es für spezielle Lebenssituationen spezielle Kenntnisse: Was bewegt einen Menschen im Krankenhaus, im Gefängnis, in Notfällen, bei einem Suizid in der Familie? In der Folge des Jahres 1968 hat es in der Seelsorge einen Aufbruch gegeben. Seitdem hat sie stark die Erkenntnisse der Humanwissenschaften aufgenommen und ist in einen wertvollen Dialog mit diesen getreten. Daraus sind zahlreiche Spezialgebiete der Seelsorge entstanden, die auf wissenschaftlichen Konzepten aufbauen.
     Die Seelsorge hat sich immer stärker professionalisiert.
Wer heute beispielsweise in der Notfallseelsorge tätig sein will, der braucht Grundkenntnisse in Traumaforschung. Diese Kenntnisse werden im ZfS geschult. Bei uns gibt es nicht nur seelsorgliche Themen, wir bieten auch Weiterbildung in neuen Beratungsformaten und Supervisiontechniken an.
     Zum Beispiel?
Ein junges, sehr attraktives Feld der Spezialseelsorge ist die Systemische Seelsorge. Sie sieht den Menschen mit seinen Ressourcen innerhalb seines Beziehungsgeflechts: Wenn man den Menschen in seiner Mitwelt und in seinen Zugehörigkeiten besser versteht, dann kann man bestimmte Situationen leichter einer Lösung zuführen.
     Welche Kurse wurden im ersten Jahr des ZfS besonders stark nachgefragt?
In der Telefonseelsorge verzeichnen wir für unsere Kurse mehr Nachfrage von Ehrenamtlichen als wir freie Plätze anbieten können. Auch in der Altenseelsorge werden unsere Angebote stark nachgefragt, insbesondere im Themenfeld Demenz.
     Gibt es eine Vernetzung zu weltlichen Programmen und Einrichtungen?
In der Notfallseelsorge etwa arbeiten wir mit der Psychosozialen Notfallversorgung des Landes Niedersachsen zusammen, in der Schwerhörigen- und Blindenseelsorge mit den weltlichen Verbänden, teils auch durch Vorstandsarbeit. In der Krankenhausseelsorge arbeiten wir in den Ethikkomitees der Kliniken mit, teils als Vorsitzende, in der AIDS-Seelsorge unterstützen wir die Initiativen und die örtlichen AIDS-Hilfen. Wir engagieren uns auch in der Flüchtlingsarbeit. Den Dialog mit den Wissenschaften wollen wir ebenfalls weiter fördern.