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Foto: Axel Kawalla

Welt-AIDS-Konferenz in Durban

Nachricht 01. August 2016

Ist AIDS immer noch wichtig?

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AIDS-Schleife in Durban. Foto: Axel Kawalla

Weithin sichtbar zwischen dem Messegelände und einem großen Einkaufszentrum steht die rote AIDS-Schleife im südafrikanischen Durban. Und dies nicht für einen Tag oder eine Woche, sondern seit dem Jahr 2000 installiert als ständiges Denk- und Mahnmal. Wäre dies vorstellbar in Hannover, etwa auf dem Kröpcke?

Als HIV- und AIDS-Seelsorger der Hannoverschen Landeskirche war Pastor Axel Kawalla jetzt in Durban, um die Zusammenhänge dieser Krankheit besser zu begreifen. Nach einer Woche in Südafrika kann er zumindest für sich selbst ein Ergebnis der Konferenz formulieren: „Ich will wieder neu lernen, dass HIV und AIDS ein Problem der Menschheit sind, auch für mich als Mensch und Christ in Hannover.“

Die Welt-AIDS-Konferenz: Ist AIDS immer noch wichtig?

Vom 18. bis zum 22. Juli fand die 21. Welt-AIDS-Konferenz in Durban statt. „Von dieser Konferenz ging ein starkes, einhelliges Wort an die Welt-Gemeinschaft, das Thema HIV und AIDS wieder ganz oben auf die Agenda zu nehmen“, berichtet Axel Kawalla. Oscar-Preisträgerin Charlize Theron eröffnete die Konferenz mit den Worten, diese Gastgeberschaft sei nichts, worauf sie als Südafrikanerin stolz sei und sie hoffe, es werde nicht zur Gewohnheit, sich immer wieder in ihrem Heimatland zu treffen. Es sei bereits viel geschafft worden, dennoch gebe es weiterhin viel zu tun: Noch immer würde die heterosexuelle Liebe höher gewichtet als die homosexuelle, ein Mann höher gewichtet als eine Frau, ein Erwachsener höher als ein Kind und ein weißer Mensch höher als ein schwarzer.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mit großer Anstrengungen sind in Südafrika 3,5 Millionen Menschen in HIV-Behandlung. Das ist ein großer Erfolg; doch mehr als fünf Millionen sind infiziert – zehn Prozent der Bevölkerung. In Deutschland stagnieren die Zahlen seit Jahren bei ca. 0,1 Prozent. In Südafrika starben im Jahr 2014 140.000 Menschen an den Folgen von HIV und AIDS, weltweit müssen die jährlichen Toten noch immer in Millionen gezählt werden. „Ich muss gestehen, dass ich vor der Ernennung zum HIV-Seelsorger nur einmal im Jahr, am 1. Dezember, an dieses Thema gedacht habe. Hier im Epizentrum der Epidemie dringen die Zahlen deutlicher in mein Ohr: dass z.B. in Lesotho mehr als 30 Prozent aller 14- bis 40-jährigen Mädchen und Frauen HIV-positiv sind. Was würden wir tun, stünde die Marktkirche in Lesotho?“

Was haben wir als Kirche damit zu tun?

„Und jetzt drehen Sie sich bitte zu ihrem Bank-Nachbarn, sehen ihm oder ihr in die Augen und sagen das Wort ‚Sex‘.“ Überall Schmunzeln und Lachen im Konferenz-Saal der interreligiösen Vorkonferenz AIDS 2016. „Ihr Lachen drückt aus, dass Sie sich unwohl fühlen, dieses Wort auszusprechen. Nun machen Sie bitte dasselbe noch einmal und sagen‘guter Sex‘.“ Reverend Edwin Sanders aus den USA lässt nicht locker. Die Irritation des ersten Mals ist verklungen und die Delegierten machen das Spiel weiter mit. „Und jetzt drehen Sie sich ein drittes Mal zum Nachbarn und sagen: ‚… und davon eine ganze Menge‘.“

Reverend Sanders aus Nashville/Tennessee arbeitet als Pastor daran, die Vision einer inklusiven Gemeinde umzusetzen und er geht ungewöhnliche Wege, um seine Gemeindeglieder mit ihren eigenen Denkgewohnheiten zu konfrontieren. Mit der Einladung, diese Worte auszusprechen, brachte er auf den Punkt, woran Kirchen und Glaubensgemeinschaften in den nächsten Jahren arbeiten müssen, wenn sie weiterhin ihren Beitrag zur Bekämpfung von HIV und AIDS leisten wollen. Die Kirchen können stolz sein auf das, was sie geschafft haben: Häufig waren sie noch vor Regierungen und anderen Institutionen tätig; sie sind in Afrika für die Hälfte aller AIDS-Programme verantwortlich. Dennoch: Kirchen und Glaubensgemeinschaften sind oft zugleich Bremsklötze der Bewegung – über den Körper und die Sexualität in der Kirche oder gar in einer Predigt zu sprechen, ist fast überall ein Tabu. Die meisten Kirchen sind weit davon entfernt, Homosexualität für normal zu halten. „So werden Menschen, die eine andere Sexualität haben als die Mehrheit oder mit HIV infiziert wurden, von dieser Gemeinschaft ausgeschlossen, ohne dass auch nur ein einziges Wort darüber gefallen ist“, sagt HIV-Seelsorger Axel Kawalla. „Das Thema bleibt unklar, unscharf und jederzeit kann man sich darauf zurückziehen, dass ja nichts gesagt, also auch nicht so gemeint wurde.“ Dieses Verhalten schade besonders den Menschen, die besonders verletzbar sind: Kinder und Jugendliche, darunter besonders Mädchen und junge Frauen, die von der Gesellschaft nicht den Schutz bekommen, den sie brauchen.

Die Gefahr, sich mit HIV zu infizieren, ist insbesondere für Mädchen und junge Frauen weiterhin erschreckend groß: Allein in Südafrika werden jede Woche 2.500 Mädchen und junge Frauen neu infiziert. Ungeschützter und oft gewaltsamer Sex ist die Hauptursache für diese hohen Zahlen.

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Pastor Axel Kawalla nach seinem Besuch im Hillcrest AIDS Centre.


Wer macht die Arbeit?


Londiwe Ngubane ist Oberschwester im Hillcrest-AIDS-Centre vor den Toren Durbans. Das Zentrum wurde vor 25 Jahren von der Methodistischen Gemeinde Hillcrest gegründet. Londiwe erzählte von ihrer Arbeit: „Wir  können in unserem Zentrum gleichzeitig 24 Patientinnen und Patienten versorgen. Viele von ihnen kommen mit starker HIV-Infektion oder im Endstadium AIDS. Alle bekommen dieselbe Liebe und Pflege, bis sie entweder nach Hause entlassen werden können oder hier in christlicher Nächstenliebe sterben.“

Drei von zehn Patientinnen und Patienten sterben im Zentrum. Eine Gedenkwand zeigt die Namen der Verstorbenen. „Aber HIV ist für die Familien nicht das einzige Problem“, erzählt Londiwe weiter. „Viele Medikamente müssen dreimal am Tag mit einer Mahlzeit eingenommen werden; das ist für Sie in Europa normal. Was aber passiert, wenn das Geld nur für eine Mahlzeit reicht? Deshalb kümmert sich dieses Zentrum auch um Schulbildung für die Kinder und bringt die Menschen dazu, Einnahmequellen zu entdecken: Die Baumschule, die Kleider-Werkstatt und das Kunsthandwerk vieler Frauen helfen dabei, statt einer dem Kind vielleicht zwei Mahlzeiten anbieten zu können.“

„Was mich bei diesem Bericht beschämt hat, war die Bescheidenheit und Motivation, mit der Londiwe ihre Arbeit beschreibt“, sagt Axel Kawalla. „Über allem steht, dass es für sie ein Privileg ist, den Menschen helfen zu können.“

Die Aufgabe ist riesig – wer strickt mit?


Viel ist in den vergangenen Wochen über die AIDS-Konferenz in Durban berichtet worden. Ziel ist es, bis zum Jahr 2030 AIDS als Epidemie zu beenden. „Und die Botschaft, die von Durban ausging, war deutlich“, sagt der hannoversche AIDS-Seelsorger: „Wenn wir bis 2016 soweit gekommen sind, können wir es bis 2030 schaffen. Doch dazu müssen alle mitstricken, mit ganzer Kraft, großen finanziellen Ressourcen, allem Ehrgeiz und Kreativität.“

Für Anfragen und Gespräche zum Thema steht Axel Kawalla gerne zur Verfügung.