Der Buß- und Bettag ist ein christlicher Feiertag, der Schülerinnen und Schülern nicht nur an Berufsschulen zunächst einmal fremd ist. Die Erfahrung zeigt, dass auch Jugendgruppen und Konfis von der Existenz eines solchen Tages mehr als überrascht sind: Wie heißt dieser Tag? Was soll man da tun? Büßen und beten? Das erste Wort gehört nicht mehr zum aktiven Wortschatz von Jugendlichen, und zum Thema Gebet ist die Haltung bestenfalls ambivalent.
Dies alles gilt es in der Vorbereitung eines Gottesdienstes zum Buß- und Bettag zu bedenken. Denn es kann nicht Aufgabe eines Gottesdienstes sein, die Bedeutung eines Feiertages erst zu erklären, um ihn dann feiern zu können. Was aber soll dann in einem solchen Gottesdienst zur Sprache kommen – egal, ob man ihn wie in diesem Beitrag in einer multinationalen und multireligiösen Schulgemeinschaft oder mit einer Gruppe von jungen Menschen in der Gemeinde feiert, für die das hier beschriebene Format ebenso geeignet ist.
Büßen? Was soll das sein?
Solche Überlegungen prägen die ersten Treffen mit dem Vorbereitungsteam: Hier gilt es zu klären, wie man das ursprüngliche Grundanliegen des Buß- und Bettages – die Reue über vergangene Sünden und die Besinnung auf den Gottesglauben – der Schülerschaft einer Berufsschule transparent machen kann. Die Grundidee ist bald gefunden, denn ein Gefühl eint die in dem kleinen Konferenzraum Versammelten: Sie alle wissen, wie es ist, wenn man mit sich selbst nicht zufrieden ist, wenn man eine Eigenschaft oder eine Äußerlichkeit an sich selbst nicht leiden kann. Schnell ist die Idee geboren, solche Emotionen zum Ausgangspunkt der weiteren Planung zu machen. Der Gottesdienst soll, so wird beschlossen, um genau diese Fragen kreisen: Was mag ich eigentlich an mir? Was hingegen kann ich an mir selbst nicht leiden und wie gehe ich damit um? Und schließlich: Was hat Gott mit all dem zu tun?
Was hat Gott damit zu tun?
Diese Fragen dienen als Leitmotiv der Vorbereitung, an deren Ende ein kreativer, ab-wechslungsreicher und vor allem bewegender Gottesdienst steht. Es gibt keine Predigt – eine Sprachform, die einer Schul-Gemeinde sowieso eher fremd ist, sondern fünf Workshops an fünf Stationen des großen Kirchenschiffes.
Der Titel des Gottesdienstes lautet „Embrace – Umarme dich selbst!“ und löst eher ambivalente Reaktionen aus. Eines erreicht er auf jeden Fall: Über den Gottesdienst wird in den Klassen schon im Vorfeld viel diskutiert, und so melden sich schließlich 500 Schülerinnen und Schüler an.
Die Schulgottesdienste der Elisabeth-Selbert-Schule finden traditionell im Hamelner Münster St. Bonifatius statt. Dies ist eine der beiden großen Hamelner Innenstadtkirchen und sie ist für die Schülerinnen und Schüler gut zu erreichen. Wegen des großen Interesses der Schülerschaft wird der Gottesdienst in zwei Durchgängen angeboten.
An der Elisabeth-Selbert-Schule in Hameln werden die Schulgottesdienste verantwortet vom Fachteam Religion. An der Erarbeitung des hier vorgestellten Gottesdienstes ist das Autor*innen-Team beteiligt gewesen. Doch verstehen sich die drei in der Gottesdienstvorbereitung vor allem als Moderator*innen der Ideen der Beteiligten. Denn wichtiger sind die Schülerinnen und Schüler, die das Vorbereitungsteam bilden und die freiwillig und außerhalb des Unterrichts Lust darauf haben, ei-ne solche Feier gemeinsam vorzubereiten und durchzuführen. Ziel ist es, dass der Gottesdienst die Sprache der jungen Erwachsenen spricht – und das ist besonders dann gewährleistet, wenn die Texte und Ideen nicht von den beruflich tätigen Theolog*innen kommen.
Eigene Musik ist unverzichtbar
Ein unverzichtbarer Bestandteil der Schulgottesdienste an der Elisabeth-Selbert-Schule ist die Livemusik im Gottesdienst, die meist von der Schulband unter Leitung des Musiklehrers Friedrich Rose stammt. Auch hier gilt: Auf diese Weise ist der Gottesdienst geprägt von Musik, die Schüler*innen selbst machen – und selbst hören. Dieses Mal singt eine Schülerin Solo und wird dazu von Kirchenkreiskantor Stefan Vanselow am E-Piano begleitet.
Zur Vorbereitung des Gottesdienstes finden drei Treffen im Plenum statt, außerdem tagen zwischendurch kleinere Arbeitsgruppen und schließlich gibt es eine Generalprobe. Hier ist die Spannung dann schon mit Händen zu greifen, denn nun wissen alle: Es wird ernst. Immerhin werden am Tag darauf circa 500 Gottesdienstbesucher*innen erwartet. Nun gilt es: Was klappt, was klappt nicht, was fehlt noch, was haben wir völlig vergessen? Die Nervosität steigt bei allen Beteiligten sprunghaft an. Doch bisher war es noch immer so: Egal, wie viel bei der Generalprobe noch schief gegangen sein mag, beim Gottesdienst selbst funktioniert wie durch ein Wunder immer alles. Also, fast alles …
Handeln statt Zuhören
Das Kernstück des Gottesdienstes stellen fünf Workshops dar. Sie bieten die Möglichkeit, die Aussage „Umarme dich selbst, denn du bist wertvoll“ spürbar werden zu lassen. Anstatt sperrige Begriffe wie Buße, Reue und Umkehr zu erklären, wird ihr Inhalt in dieser kreativen Phase greifbar. Sich selbst zu lieben, ist in der Social-Media-Generation Teil der Selbstdarstellung. Doch zugleich ist die Manipulation mit Photoshop und die Sehnsucht nach Likes ein Zeichen, dass Jugendlichen durchaus bewusst ist, dass man nicht immer um seiner selbst willen geliebt wird.
Der Schulgottesdienst zum Buß- und Bettag setzt genau hier an. Er will zeigen: Es ist in Ordnung, sich selbst zu lieben – selbst bei berechtigter Kritik. Im Hintergrund steht der Glaube, dass unser Gott Menschen bedingungslos liebt. Dieses Gefühl soll in den Workshops auch für diejenigen erfahrbar werden, in deren Leben Gott und Glaube keine Rolle spielen.
Der Gottesdienst selbst: Die Workshops
In der Spalte rechts werden die fünf Workshops ausführlich beschrieben und stehen zum Download bereit.
Die Workshop-Stationen sind im Kirchenschiff verteilt. Für jeden Workshop ist ein kleines Team zuständig; die Beteiligten haben einen Koffer mit ihren Materialien dabei und gehen zu Beginn der Workshops zu den dort bereits vor Gottesdienstbeginn aufgestellten Tischen. Die Gottesdienstbesucher*innen verteilen sich nach Aufforderung ungefähr gleichmäßig auf die verschiedenen Stationen. Die Reihenfolge der Workshops ist frei wählbar.
Die Workshops werden mit den folgenden Worten anmoderiert: „Liebe Schülerinnen und Schüler, wir haben jetzt Workshops für euch vorbereitet. Da könnt ihr ausprobieren, wie es ist, sich selbst zu umarmen, bei aller berechtigten Kritik. Ihr seht, dass hier im Raum fünf Tische verteilt sind. An denen finden die Workshops statt. Geht nun zu den Tischen, die euch am nächsten sind. Dort werden euch die Workshopleitenden sagen, was zu tun ist. Wenn ihr fertig seid, dürft ihr zum nächsten Workshop gehen, bis ihr alle fünf Tische besucht habt. Wenn hier vorne die Musik anfängt, dann kommt bitte wieder auf eure Plätze zurück.“
Dr. Michaela Veit-Engelmann, ehemals Schulpastorin, Dozentin für den Bereich Berufsbildende Schulen und Öffentlichkeitsarbeit am RPI Loccum; Michael Frey, Schuldiakon; Bianca Reineke, Schulpastorin