Vor einigen Jahren leitete Prof. Dr. Frank Austermann die TelefonSeelsorge Bremen; seit 2014 ist er als Professor in der Abteilung Religionspädagogik und Diakonie an der Hochschule Hannover tätig. Immer wieder wünscht er sich hier, seine Lehrveranstaltungen mit „echter“ Praxis zu bereichern; nun brachte er in Zusammenarbeit mit Kerstin Häusler, Leiterin der TelefonSeelsorge Hannover, und Daniel Tietjen, Beauftragter der hannoverschen Landeskirche für die TelefonSeelsorge, ein Projekt auf den Weg, das diesem Wunsch Rechnung trägt.
Im Mai 2021 starteten sieben Studierende des Studiengangs „Religionspädagogik und Soziale Arbeit“ mit einer Hospitation bei der Chatseelsorge der TelefonSeelsorge Hannover. Zuvor hatten sie mindestens vier Semester lang Seminare zum Thema Seelsorge belegt und sich mit einem Motivationsschreiben um die Teilnahme am Projekt „Studierende in der Chatseelsorge“ beworben. Im Sommer schloss sich dann eine mehrtägige Fortbildung bei Annegret Warnecke, Chatbeauftragte und Mentorin der TelefonSeelsorge Elbe-Weser, an; anschließend hospitierten die Studierenden noch einmal in der Chatseelsorge der hannoverschen TelefonSeelsorge. „In dieser Zeit ermöglichten Kerstin Häusler und ihre ehrenamtlich tätigen Mitarbeitenden den Studierenden Einblicke in die Praxis – das war ideal“, sagt Austermann.
Nach einer weiteren Fortbildung bei Annegret Warnecke stiegen die Studierenden dann selbst in die Praxis ein: In der Hochschule Hannover loggten sie sich einmal wöchentlich mit Zugängen der TelefonSeelsorge Hannover in deren Chat ein; Austermann hielt sich in dieser Zeit im Hintergrund auf, um in eventuellen Krisensituationen sofort zur Verfügung zu stehen. „Dazu kam es aber nicht, ich musste mich nicht einschalten“, sagt er. Im Anschluss an jeden Chat-Termin folgte eine Fallbesprechung in der Gruppe.
Häufig ging es in diesen Besprechungen darum, dass Seelsorge – egal ob im persönlichen Gespräch, am Telefon oder im Chat – kein Ziel verfolgen, keine Lösung anbieten muss. Hinzu kam die Feststellung, wie sehr der Chat „kanalreduziert“ ist: Mimik, Gestik und Stimme sind ausgeschaltet, und wenn sie nicht freiwillig mitgeteilt werden, sind auch Alter und Geschlecht der anfragenden Menschen unbekannt. „Das macht die Chatseelsorge so niedrigschwellig“, sagt Austermann. „Gleichzeitig bedeutet es natürlich eine Herausforderung, noch genauer als im Gespräch auf die Formulierungen zu achten.“
Die Rückmeldungen der Studierenden hätten ihn berührt, berichtet Austermann weiter: „Sie haben mir gesagt, dass dieses Projekt innerhalb ihres Studiums die Veranstaltung war, die ihnen für ihre zukünftige Berufstätigkeit am meisten gebracht habe – keine Laborsituation, sondern echte Praxis.“ Er selbst sei begeistert davon, wie sich die Studierenden kompetent und mit guten Interventionen eingebracht hätten: „Ich habe den Eindruck, dass sie im Chat gegenüber meiner Generation große Vorteile haben; er passt zu ihrer Lebenswelt.“
Anerkennung äußert auch Pastorin Kerstin Häusler: „Für die TelefonSeelsorge ist es ein echter Gewinn, dass die Studierenden sich mit so viel Engagement in die Chatseelsorge eingearbeitet haben und nun weiterhin unser Team bereichern.“
Gefördert wurde das Projekt durch Mittel des Landes Niedersachsen, mit denen unter anderem Notebooks finanziert wurden. Nach Auskunft von Austermann soll es fortgesetzt werden: „Der hohe Zeitaufwand, den die Studierenden betreiben müssen, lohnt sich“, ist er überzeugt.