Theodor Adam wird Beauftragter für Queere Seelsorge

Nachricht 02. Februar 2022

„Wir müssen reden – dazu braucht es Räume und Mut“

Pastor Theodor Adam

Pastor Theodor Adam wird Beauftragter für Queere Seelsorge und Beratung in der hannoverschen Landeskirche: Zum 1. März übernimmt er diese Aufgabe im Zentrum für Seelsorge und Beratung (ZfSB) in Hannover. Direktorin Angela Grimm ist sehr froh darüber, dass die Stelle nach dem Wechsel von Pastor Axel Kawalla zeitnah wiederbesetzt werden kann: „Mit Pastor Theodor Adam kommt ein junger Kollege zu uns, der sowohl praktisch-theologisch als auch wissenschaftlich fundiert in und zu diesem Themenfeld arbeiten wird.“ Theodor Adam selbst schaut mit Freude, Respekt und großem Gottvertrauen auf seine neue Aufgabe, wie er jetzt im Gespräch betonte.

ZfSB: Herr Adam, Sie werden nun Pastor für Queere Seelsorge und Beratung …

Adam: Ja, da freue ich mich sehr. Die Stelle ist mir ein Herzensanliegen. Aber lieber würde ich von Queerness-sensibler Seelsorge sprechen. Die Seelsorge an sich ist ja nicht queer, auch ist Queeren-Seelsorge eine unglückliche Formulierung, denn der Begriff legt nahe, dass queere Menschen eine homogene, von anderen Menschen abgesonderte Gruppe seien. Queere Menschen sind jedoch verschieden und so individuell wie alle Menschen.

Was genau bedeutet eigentlich „queer“?

„Queer“ wird meist als Container-Begriff verwendet. Er beschreibt Menschen, die nicht heterosexuell und / oder nicht in ihrem Geburtsgeschlecht leben oder mit männlich und weiblich konnotierten Geschlechtsmerkmalen geboren wurden. Und er wird sehr individuell ausgelegt und mit Leben gefüllt. Eine lesbische Frau z. B. kann sich als queer verstehen oder ein intersexueller Mensch, der einen transgeschlechtlichen Mann liebt.

Wie begegnen Sie queeren Menschen?

(Lacht.) So wie Ihnen auch. Offen und mit Interesse. Vielleicht sind Sie ja queer und ich weiß es noch nicht. Queeren Menschen sieht man ihr Queer-Sein ja längst nicht immer an. Und wer will bestimmen, wo Queerness beginnt und wo sie endet, wenn nicht jeder Mensch für sich selbst? Ich glaube, dass Gott mehr vorgesehen hat als rein Männliches, rein Weibliches und heterosexuelle Beziehungen. Gott drückt sich in allen Menschen aus, männlich und weiblich, intergeschlechtlich und genderfluid. Und seine Liebe kennt deutlich weniger Grenzen – falls sie denn überhaupt welche kennt – als unser Denken.

Das sehen aber nicht alle Menschen so, auch innerhalb unserer Kirche.

Ja, das ist die (kirchen-)politische Seite dieser Beauftragung. Gender sei Mode, nicht Befreiung, Homosexualität sei Sünde, nicht Liebe, und transgeschlechtliche Menschen seien geschlechtsverwirrt und -verirrt. Menschen, die so argumentieren, haben ihre Gründe. Die können rationaler und auch emotionaler Art sein. Wichtig ist, dass wir einander begegnen!

Wie können diese Begegnungen gelingen – trotz aller möglichen Vorbehalte, die Sie gerade genannt haben?

Der „Schwuchtel“ an der Bushaltestelle spuckt man schnell vor die Füße, dem Olli, mit dem man schon mal ein Bier getrunken hat, nicht. Die „Schwuchtel“ hat keinen Namen und keine Stimme, Olli hingegen ist ein Mensch. Und umgekehrt ist es ebenso. Wer Queerness kritisch sieht, muss nicht gleich rechts oder konservativ sein. Wir müssen reden. Dazu braucht es Räume und Mut von allen. Dazu braucht es auch theologische Argumente und eine Streitkultur. Und es braucht, trotz allem, ein Mindestmaß an Vertrauen.

Wie werden Sie Ihre neue Beauftragung mit Inhalt füllen?

Das eigentliche Seelsorgeangebot ist die Kernaufgabe. Zuhören, Gehörtes zusammen aushalten oder sich darüber freuen und es sortieren, einander begleiten, vielleicht auch zusammen beten, Segen empfangen. Und dabei weitere Potentiale wahrnehmen: Wo sind Bedürfnisse, was kann ich tun? Dann: Aufklärung und Befähigung. Warum fühlen sich manche Menschen ausgeschlossen, wenn die Männer im Psalmengebet beginnen und die Frauen mit den eingerückten Versen antworten? Und wie können wir einen Kasualgottesdienst anlässlich einer Transition begehen? Und feiern: Gottesdienste zu queeren Anlässen wie dem Christopher Street Day, zum Transgender Day of Remembrance, Kasualien in queeren Kontexten …

Wie kann hier auch die Theologie ins Spiel kommen? 

Natürlich braucht diese Stelle eine theologische Grundlage. Es hilft nichts, einander Bibelstellen nur vorzulesen, gar um die Ohren zu hauen, um die eigene Einstellung zu stützen – vielmehr braucht es ein Ringen ums Verstehen, einen ergebnisoffenen Diskurs und dann Pflöcke, die wir einschlagen: Hinter diese Erkenntnis gehen wir nicht zurück.

Wenn Sie sich etwas wünschen dürften für die Queerness-sensible Seelsorge – was könnte das sein?

Natürlich wäre mein Wunsch, dass Gott diese Arbeit begleitet. Es wäre wunderbar, wenn sich Seelsorge, Aufklärung und Befähigung, das Feiern und das theologische Ringen verbinden würden in einer segensreichen Dynamik, die es Menschen ermöglicht, einander und sich selbst anzunehmen, auf dass wir das Leben feiern, aufrecht und frei in unserer Unterschiedlichkeit und Gleichwürdigkeit – innerhalb der Kirche und über sie hinaus.