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Telefonseelsorge registriert große Kriegs- und Zukunftsangst

Nachricht 11. März 2022

„Die Ängste sind hochgeschnellt“

Diakon Daniel Tietjen, landeskirchlicher Beauftragter für die Telefonseelsorge

Der russische Angriff auf die Ukraine ruft auch bei den Menschen hierzulande Ängste hervor. Bei der Telefonseelsorge in Deutschland melden sich immer mehr Anruferinnen und Anrufer, die Angst vor einem dritten Weltkrieg oder vor der Zukunft haben.

„Das ist wirklich hochgeschnellt. Es geht um Ängste vor einem Weltkrieg und ganz stark um Zukunftsängste, die durch die Corona-Pandemie sowieso schon da waren“, sagte der Beauftragte der hannoverschen Landeskirche für die Telefonseelsorge, Daniel Tietjen, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Seit Beginn der Invasion werde bundesweit in einem Fünftel der Gespräche der Krieg in der Ukraine thematisiert, bilanziert Tietjen. „Unter den Älteren rufen Menschen an, die sich an eigene Kriegserfahrungen erinnern und dachten, dass sie so etwas auf europäischem Boden nicht mehr miterleben müssen. Unter den Jüngeren fragen sich viele, wie es nun weitergeht, was Fixpunkte sein können, worauf man sich in dieser Welt überhaupt noch verlassen kann.“ Etliche seien auch finanziell betroffen und fragten sich beispielsweise, wie sie ihre Heizkosten noch bezahlen sollen.

„Zu Beginn der Pandemie schnellten zwar auch die Ängste hoch“, blickt Tietjen zurück. „Aber jetzt im Krieg ist es erschreckend, wie massiv die Ängste auf einmal sind, wie konkret eine Bedrohungslage entsteht, von der ich gar nicht weiß, was das für mich bedeutet – und die emotional viel in mir auslöst, wenn ich erlebe, wie Menschen in Not sind, flüchten oder sogar sterben.“ Besonders bei den Menschen, die ohnehin schon belastet seien, „wird es noch wackeliger“.

In dieser Situation sei es in erster Linie wichtig, den Anrufenden zuzuhören. „Dadurch ändert sich etwas, das erleben unsere Ehrenamtlichen oft“, verdeutlichte Tietjen, der auch die Telefonseelsorge Elbe-Weser mit Sitz im niedersächsischen Bad Bederkesa leitet. So seien anfangs viele Gesprächsverläufe sehr schnell. „Im Verlauf wird es dann ruhiger, das Gespräch wirkt entlastend. Insofern ist die Telefonseelsorge vielfach ein Stabilitätsanker.“

Bei der Frage, was gegen die Ängste getan werden könne, gehe es darum, der Ohnmacht mit Selbstwirksamkeit zu begegnen. „Wir fragen danach, was die Anrufenden in Krisensituationen bisher selbst als hilfreich empfunden haben: vielleicht bewusst eine Nachrichtenpause einlegen, sich in Hilfsnetzwerken einbringen, auf der Straße in Gemeinschaft gegen den Krieg die Stimme erheben.“ Was mögliche Hilfen angehe, so gebe die Telefonseelsorge grundsätzlich keine Tipps, sondern versuche, „auf der Landkarte des Ratsuchenden zu bleiben“. Das könne auch über eine offen formulierte Frage geschehen.

Russischsprachiges Telefon Doweria

Die Telefonseelsorge ist bundesweit unter den Rufnummern 0800/111-0-111 sowie 0800/111-0-222 rund um die Uhr kostenlos und anonym erreichbar, auch an Sonn- und Feiertagen. Per Mail oder Chat stehen Seelsorgerinnen und Seelsorger unter https://online.telefonseelsorge.de zur Verfügung.

Menschen aus dem russischsprachigen Raum bietet die Telefonseelsorge ein Angebot in russischer Sprache: Telefon „Doweria“ (Doweria = Vertrauen) ist unter der Nummer 030 – 440308454 zu erreichen. Der Anschluss ist rund um die Uhr besetzt. Jeweils dienstags und donnerstags von 20 bis 22 Uhr bietet Doweria Chats an, erreichbar unter www.doweria-chat.de.